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Die vier Stufen der künstlerischen Anerkennung06.12.2023

Im Jahr 1989 beschrieb Sir Alan Bowness in seinem Buch „The Conditions of Success, How the Modern Artist Rises to Fame“ die vier Stufen der Anerkennung, die zum künstlerischen Erfolg führen. Das Buch basiert auf einer Vorlesung, die der Brite am 7. März 1989 an der Universität London hielt. Bowness beschreibt hier einen Weg für Künstler*innen, der, bis auf eine zeitlich bedingte Änderung, bis heute relevant ist. In einem Nachruf zum Tod des bedeutenden Kunsthistorikers heißt es: „Mehr als ein halbes Jahrhundert lang dominierte Alan Bowness die britische Kunstwelt, als Kritiker, Autor, Sammler, Professor und Kurator. Zwischen 1980 und 1988 war er Chef der Londoner Tate Gallery. Hier stand sein Name für bedeutende Museumsanschaffungen, etwa Werke von Francis Bacon, David Hockney, Andy Warhol, Jean Dubuffet und Max Beckmann.“ (1) Auf Bowness’ Initiative geht auch die Einrichtung des Turner-Preises zurück, bis heute eine der wichtigsten Auszeichnungen für zeitgenössische bildende Künstler*innen weltweit.

Entgegen der geläufigen Annahmen, dass der Durchbruch der Kunstschaffenden einzig auf einem herausragenden Talent, auf Fleiß, auf einem guten Netzwerk, auf guten Beziehungen, auf Willkür, auf Zufall oder gar auf all diesen Aspekten zusammen beruht, geht Bowness davon aus, dass es eine Entwicklung zur künstlerischen Wertschätzung gibt, die genau benannt werden kann. Der Ruhm, so sagt der Kunsthistoriker, fällt nicht vom Himmel, sondern ist vorhersehbar. Bowness schreibt: „I want to propose a contrary position, and argue that there is a clear and regular progression towards artistic success. There are, in my view, conditions of success, which can be exactly described. And success is conditioned, in an almost deterministic way. Artistic fame is predictable.” (2) Der Kunsthistoriker identifiziert vier Stufen, die Künstler*innen nach und nach durchlaufen müssen, um Anerkennung zu erhalten und erfolgreich zu werden. „There are four successive circles of recognition through which the exceptional artist passes on his path to fame. I will call them peer recognition, critical recognition, patronage by dealers and collectors, and finally public acclaim.” (3) Die erste Stufe der Beachtung kommt demnach durch Künstlerkolleg*innen, die zweite durch Kunstkritiker*innen, die dritte Stufe bedeutet eine Förderung durch Händler*innen und Sammler*innen und die vierte Stufe bringt die Anerkennung der Öffentlichkeit.

Seit der Veröffentlichung des Buches von Alan Bowness sind über 30 Jahre vergangen. In diesen Jahren hat sich die Welt der Kunst verändert. Sie ist größer geworden, sie ist schneller geworden und sie ist transparenter geworden. Aber auch die Bedingungen, unter denen Kunst produziert und auf den Markt gebracht wird, haben sich gewandelt. Es gibt immer mehr Künstler*innen und immer weniger Galerien. Kunstkritiker*innen haben heute eine andere Aufgabe als damals, die Zahl der Sammler*innen ist seit den 1980er-Jahren deutlich gewachsen, und die Rolle der Museen hat sich ebenso verändert wie die Rezeption von Kunst. Auf der einen Seite ist die Offenheit gegenüber der Kunst heute größer, auf der anderen Seite wird bei jeder Krise als Erstes der Kunstmarkt erschüttert. Doch unabhängig von all diesen Faktoren hat das Konzept von Alan Bowness bis heute seine Berechtigung. Die vier Stufen der Anerkennung sind, den aktuellen Gegebenheiten angepasst, auch heute noch interessant und inspirierend. Vor allen Dingen sind sie ein guter Leitfaden auf dem Weg zum künstlerischen Durchbruch.

Nach Alan Bowness ist die Voraussetzung der künstlerischen Anerkennung, dass ein „exceptional artist“, also ein*e Ausnahmekünstler*in, gute Kunst schafft. Doch wie lässt sich das Gute oder das Schlechte definieren? Was sind die Kriterien der Kunst? Was gute Kunst ist und was gute Künstler*innen ausmacht, darüber haben viele Kunsthistoriker*innen, Kritiker*innen, Künstler*innen etc. befunden. Es ist die Kunst, die Relevanz hat, die Stellung bezieht, die eine Position einnimmt. „Ein guter Künstler ist einer, der sich seiner eigenen Kriterien bewusst ist, der benennen kann, warum ihn seine eigenen Werke überzeugen“ (4), schreibt der Kunstkritiker Hanno Rauterberg in seinem Buch Und das ist Kunst?!. Doch letztlich gibt es keine Antwort auf die Frage, was gute Kunst ist. Es gibt keine verlässlichen Maßstäbe oder Leitwerte. Vielmehr ist gute Kunst eben die Kunst, die sich durchsetzt, die die Käufer*innen, die Sammler*innen, die Händler*innen und die Öffentlichkeit überzeugt und anzieht. Und das, so wissen wir alle, wird heute weniger durch den inhaltlichen Diskurs als vielmehr durch die Nachfrage und den Preis bestimmt. Gute Kunst ist also erst einmal eine Behauptung. Und diese Behauptung kann jede*r aufstellen. …

Die erste Stufe der künstlerischen Anerkennung erfolgt laut Alan Bowness durch die Künstlergemeinschaft. Die Wertschätzung durch Gleichaltrige ist, so Bowness, die erste und in vielerlei Hinsicht die bedeutendste Anerkennung.

Die zweite Stufe der künstlerischen Anerkennung erfolgt nach Alan Bowness durch diejenigen, die über Kunst schreiben und sprechen, durch die Kunstkritiker*innen. Die Rolle der Kunstkritiker*innen bestand laut Alan Bowness darin, die verbale Sprache über die Kunst mit zu entwickeln. Kunstkritiker*innen fanden in den vergangenen Jahrzehnten oftmals die passenden Worte über die Kunst. Im Auftrag der großen Feuilletons boten sie weitsichtige Beurteilungen, interessante Beschreibungen oder übergeordnete Sichtweisen, die es den Rezipient*innen – und oft auch den Künstler*innen selbst – leichter machten, über die Kunst zu sprechen. Doch im 21. Jahrhundert hat sich die Aufgabenstellung der Kritiker*innen und damit ihre Bedeutung gewandelt. Das ist auf der einen Seite bedauerlich. Aber, auf der anderen Seite, kann diese Rolle heute auch durch die Instrumente des Marketing von den Künstler*innen selbst übernommen werden. Mithilfe des Marketing ist es den Kunstschaffenden möglich, die „verbale Sprache“ über ihre Kunst eigenständig zu entwickeln.

Mehr zum Thema in:
Andrea Jacobi, „Von Kunst leben – Selbstmarketing für bildende Künstler*innen“, transcript Verlag.

QUELLENANGABEN

(1) Bernd Graff: Der Mann, der die Kunst fand – Zum Tod von Sir Alan Bowness, Süddeutsche Zeitung Online, 02.03.2021
(2) Alan Bowness: The Conditions of Success, How the Modern Artist Rises to Fame, Thames & Hudson, 1989, S. 7
(3) Ebd., S. 11
(4) Hanno Rauterberg, Und das ist Kunst?!, Eine Qualitätsprüfung, Fischer Taschenbuch Verlag, 2. Aufl. 2011, S. 95