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Das Lebensgefühl Kunst01.06.2023

Sich selbst zu vermarkten, d. h. seine Werke nicht nur zu produzieren, sondern sie auch zum Kauf anzubieten, ist für viele Künstler*innen eine Herausforderung. Es ist ein Schritt in eine Welt, von der man gehofft hat, sie in andere Hände geben zu können und um die gerne ein großer Bogen gemacht wird. Aber tatsächlich hat man als Künstler*in durchaus einen großen Vorteil gegenüber Galerist*innen und anderen Anbieter*innen auf dem Markt. Der Großteil aller Käufer*innen hat ein besonderes Interesse, Künstlerinnen und Künstler persönlich kennenzulernen. Denn Käufer*innen von Kunst wollen nicht nur Kunst erwerben, sie wollen darüber hinaus meist auch an einem Lebensgefühl teilhaben.

So schreibt auch Sir Alan Bowness, ehemaliger Direktor der Tate Gallery, in seinem Buch „The Conditions of Success“: „Almost every major talent attracts one or two important collectors at an early stage in his career, and these collectors almost always appear on the scene because of their friendships with artists, whose advice they take. Sometimes these patrons have no record of collecting and begin because they are impressed by the personality of the artist rather than by his pictures.” (1) Der Kontakt zu den Künstler*innen spielt also eine nicht zu unterschätzende Rolle. Warum sonst werden Ausstellungen in Museen, Kunstvereinen, Galerien etc. in Anwesenheit der Kunstschaffenden eröffnet? Weil die Besucher*innen die Menschen hinter der Kunst kennenlernen wollen. Weil sie sehen wollen, wer die Person ist, die diese außergewöhnlichen Werke macht, die ihr Leben der Kunst verschreibt und sich oft unabhängig von allen Sicherheiten dem eigenen Thema hingibt. Weil sie durch das Gespräch mit ihr vielleicht einen besseren Zugang zur Kunst bekommen. All das fasziniert und inspiriert die potenziellen Kund*innen. Zu gerne hätten sie selbst etwas mehr von dieser Kreativität und oder von dieser Freiheit und Unabhängigkeit, sich einem kreativen Thema zu widmen.

Aber nicht nur das. Studien belegen, dass der Mensch, insbesondere bei größeren Anschaffungen, meist nicht nur das Produkt, sondern vor allen Dingen auch eine Emotion und ein Lebensgefühl kauft. Selbst wenn es teurer ist, kaufen Kund*innen das eine Produkt eher als das andere, wenn es einen Sinn erfüllt. Wenn es mit einer Emotion verbunden ist. Welches Fahrrad oder Auto ich fahre, welchen Computer oder welches Handy ich benutze, ist meist nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine ideologische Entscheidung. Ebenso verhält es sich mit der Kunst.

Kunstwerke sind auf der einen Seite mit einem Geldwert versehen. Andererseits sind sie aber, viel mehr als jedes andere Produkt, immer mehr als das Werk selbst, als das Bild an der Wand oder die Skulptur im Raum. Kunst hat außer seinem merkantilen Wert einen unschätzbaren ideellen Wert. Kunst stiftet Sinn und Identität. Sie belebt Geist und Seele. Kunst vermittelt Inspiration, Kreativität und Freiheit. Der Besitz von Kunst verleiht Individualität und Einmaligkeit. Aber vor allem spiegelt Kunst auch den Geschmack, die Haltung und die Überzeugung ihrer Besitzer*innen wider. Die Käufer*innen identifizieren sich mit einem Thema, einem Stil und eben auch gerne mit einer Künstlerin oder einem Künstler. Wer Kunst kauft, kauft meist auch ein Lebensgefühl.

So wird ein Werk oftmals nicht nur gekauft, weil es gefällt, sondern auch, weil einen der Mensch dahinter interessiert, weil man ihn sympathisch findet, weil man mit seiner Geschichte in Verbindung geht. Weil man sich auf diesem Weg vielleicht auch mit der viel gepriesenen künstlerischen Freiheit identifiziert. Die Käufer*innen sehnen sich nach dieser anderen Welt, nach der Unabhängigkeit, die für die Kunst steht. Und das lassen sich manche Käufer*innen und Sammler*innen einiges kosten.

Denn wenn die Käufer*innen die Künstler*innen kennen, eventuell sogar in einem persönlichen Kontakt mit ihnen stehen oder direkt im Atelier gekauft haben, gibt es eine Verbindung. Eine Verbindung, die mehr wert ist als der monetäre Wert der Kunst an der Wand oder der Skulptur im Raum. Es ist von nun an eine Geschichte die die Käufer*innen mit dem Künstler*innen verbindet. Und wir Menschen leben von Geschichten. So ist auch das Erlebnis, wie man dem Werk und dem Kunstschaffenden begegnet ist, eine Geschichte, die ein nicht zu unterschätzender Aspekt für die Ausstellungsbesucher*innen, Interessent*innen, Käufer*innen und/oder Sammler*innen ist. Es ist ein Lebensgefühl, dass ihnen langfristig den Grundstock für die Geschichten liefert, die sie oft noch Jahre später über die Bilder an der Wand oder die Skulpturen im Raum erzählen.

Die Geschichten erzählen davon, wie sie damals, als die Künstlerin noch unbekannt war, einander begegnet sind. Welche Freude es war, die Künstlerin, deren Werk man so schätzt, mit dem Kauf unterstützt zu haben und dass sie heute vielleicht freundschaftlich verbunden sind. Oder davon, wie sie auf einer Messe beim Betrachten eines Werkes zufällig mit der Künstlerin oder dem Künstler ins Gespräch kamen, die oder der genau das Werk produziert hat, das ihnen gefiel. Dass das Gespräch so interessant war, dass in dem Moment klar war, dass die große Investition selbstverständlich getätigt wird. Geschichten wie diese gibt es zuhauf. Geschichten, die zeigen, dass der persönliche Kontakt zu den Künstler*innen der zentrale Motor beim Kauf von Kunst ist. Denn sie vermitteln den Käufer*innen das Lebensgefühl ein Teil dieser fantastischen, kreativen Welt zu sein. Und so schreibt auch der Kunstkritiker Hanno Rauterberg, es sei „nicht allein die Begeisterung für die ökonomische Seite der Kunst, die viele Sammler reizt. Sie genießen auch die sozialen Gewinne. Über die Kunst erlangen sie Zugang zu sozialen Milieus, die ihnen sonst verschlossen blieben. Sie dürfen Ateliers besuchen, verkehren in Künstlerclubs, schließen Freundschaften, und für manche Sammler zählen am Ende diese Freundschaftswerte sogar mehr als die Kunstwerte.“ (2)

Künstler*innen haben also die Möglichkeit, ihre Käufer*innen und Sammler*innen an dieser einzigartigen Welt der Kunst persönlich teilzuhaben zu lassen. Und das macht sie als
Verkäufer*innen ausgesprochen stark. Denn wenn sich Käufer*innen und Sammler*innen nicht nur mit dem Werk, sondern auch mit dem damit einhergehenden Lebensgefühl identifizieren, ist die logische Folgerung daraus, dass niemand seine Kunst besser verkaufen kann als die Künstler*innen selbst.

QUELLENANGABEN

(1) Sir Alan Bowness: The Conditions of Success – How the Modern Artist Rises to Fame, Thames & Hudson, 1989, S. 39
(2) Hanno Rauterberg: Und das ist Kunst?! – Eine Qualitätsprüfung, Fischer Taschenbuch Verlag, 2. Aufl. 2011, S. 47